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Francisco J. Ayala: In Memoriam. Lodi-Winzer und Genetiker.

Das Wildtyp-Allel existiert nicht + die Konflikte bei Ciceros Übersetzung von Aristoteles’ aition

 

Wie ich aus Why Evolution is True erfahren habe, verstarb  Francisco José Ayala Anfang März.

Ich habe mit ihm mehrere Male über Genetik, Philosophie und teleologische Erklärungen in der Biologie diskutiert.


Ein Bruchteil davon hat es in mein Buch Das Loch im Walfisch - Die Philosophie der Biologie geschafft. Ich erinnere vor allem an zwei bemerkenswerte Diskussionen: Wildtyp und Ciceros Übersetzung von Aristoteles’ aition.


Ayala war ein vehementer Vertreter der Aussage: Das Wildtyp-Allel gibt es nicht. Genau. Er verfechtete das Gleichgewichtsmodells der Populationsstruktur - balance model of population structure - und konnte sich dabei auf Untersuchungen natürlicher Populationen stützen. Nach diesem Modell gibt es im Allgemeinen kein einziges Wildtyp- oder normales Allel. Fakt ist, dass der Genpool einer Population an den meisten Loci aus einer Reihe von Allelen in mäßigen Häufigkeiten besteht. Ein  Individuum ist üblicherweise an einem großen Teil seiner Genloci heterozygot. Es gibt keinen normalen oder idealen Genotyp, sondern nur eine adaptive Norm, die aus einer Reihe von Genotypen besteht, die in den meisten Umgebungen, in denen sich die Population bewegen, eine zufriedenstellende Fitness ergeben. 


Oder wie es Dobzhansky 1970 formulierte: „Der ‚normale‘ Genotyp einer Art ist ein Irrlicht, wie Platons Eidos. Bei vielen Genorten kann kein einzelnes Allel als ‚normal‘ angesehen werden; die Anpassungsnorm einer Art oder einer Population ist eine Reihe von Heterozygoten an vielen Orten.“ 


Genau, ein Irrlicht, passend zur deutschen Kultur, etwa am 27. Juni 2000, als das das Feuilleton der Frankfurter Allgemeine Zeitung verkündete: „Gestern morgen um drei Uhr früh schickte Craig Venter uns den unten dokumentierten Datensatz. Er enthält die letzte Sequenz des menschlichen Genoms ... die Bekanntgabe der Zusammensetzung des Stoffes, aus dem das Leben ist.“ Für den folgenden seitenlangen Abdruck von Venters ATGTAATAGTGAs erhielt die Zeitung die Goldmedaille des Art Director Clubs, wegen der „Klarheit und Überzeugungskraft“ des Produktes.


Tatsächlich gibt es das menschliche Genom nicht, und Venter hatte auch nicht dieses, sondern nur sein eigenes sequenziert. Und dies auch nur zur Hälfte. Paar Jahre später wurde dies relativ offensichtlich, als die Single nucleotide polymorphisms in Mode kamen. Aber es ist eh die Expertise deutscher Wissenschaftsjournalisten, einen Popanz aufzubauen, sich Preise untereinander zuzuschanzen, um dann diesen Popanz wieder einzureißen. Wenn es eh schon fast jeder mitbekommen hat, was ein Popanz ist. Ich sage nur: Debatte in Deutschland über das Klonen, von Menschen und Katzen, über CRISPR, über die Evolution der zwei Geschlechter.


1960 wurde Ayala in seiner Heimat Spanien zum Dominikanerpriester geweiht. „Das müssen Sie wissen, wenn Sie mit Francisco Ayala diskutieren“, briefte mich zuvor mein Freund Ernst. Ich erwiderte: „Keine Sorge, das weiß ich.“ 


In der Tat hat Ayalas religiöser Background ihm den Templeton Preis eingebracht, kein Kommentar, aber auch jede Menge Häme unter Genetikern. Noch heute kursieren die Stories, wie er in Dobzhanskys Fruchtfliegen-Labor an Columbia mit Priesterkutte aufmarschierte. Ich bin nicht dabei gewesen. Neid brachte ihm auch ein, als er eine reiche Hotelerbin heiratete. That’s life. Immerhin betrieb er zuletzt einen ordentlichen Weinanbau in Lodi.


Alles in allem kann man über Ayala sagen, was man will, mit Philosophie kannte er sich aus. Ich habe manchmal zu Ernst gesagt, daß ich die philosophischen Ergüsse seiner nahen oder entfernten Mitstreiter, ich sage nur Dennett oder Ruse, nicht sehr überzeugend finde. Das hörte Herr Dr. nicht gerne. Vermutlich hatte er recht, auch nicht habe Vorurteile. An Ayalas philosophischer Kompetenz, zumindest griechischer, gab es nichts zu deuteln. Man muß auch nicht seine Ausführungen über Teleologie, Zweck, Ursache und Funktion unterschreiben. Im Gegensatz etwa zu Ernst hielt Ayala teleologische Erklärungen zu Endursachen in der Evolutionsbiologie für nichts Anrüchiges. Teleologische Erklärungen verlangen, daß das zu deutende Merkmal oder Verhalten zum Bestehen oder Erhalt bestimmter Zustände oder Eigenschaften eines Systems beitragen.

„Wir wissen aber nun“, erklärte mir Ayala seinerzeit, „daß sich in der Evolution durch natürliche Selektion nur dann etwas etabliert, wenn ein Zweck oder eine Funktion für den Organismus vorhanden ist.“ 


Es gibt Meinungen, nach denen es das große Verdienst von Darwin sei, den Zweck aus der Wissenschaft herausgeworfen zu haben. 


Wie auch immer, ein sehr gutes Beispiel für Ayalas Expertise ist die Analyse der Verwendung von aition. Dies ist ein von Aristoteles verwendetes Wort, das schwierig zu verstehen ist. Cicero übersetzte diesen griechischen Ausdruck mit Ursache, lateinisch causa. Damit begann das Problem. So zumindest Ayala. Denn Aristoteles behandelte bekanntlich vier Prinzipien der Erklärung, die causa materialis, formalis, efficiens und die causa finalis. Wobei nur die causa efficiens Ursache im modernen Sinn bedeutet. Denn die Materie kann nicht Ursache ihrer selbst sein, ebensowenig wie die Form.


„Und was heißt dann aition tatsächlich?“ wollte ich seinerzeit von Ayala wissen. 


„Es bedeutet eigentlich ‚Grundsätze der Erklärung‘, und der Plural aitia ‚Grundlagen der Gründe‘. Aition meint nicht notwendigerweise Ursächlichkeit im Sinne einer wirkenden Ursache. Aristoteles meinte damit: Wenn du etwas verstehen willst, kannst du vier unterschiedliche Fragen stellen. Woraus ist es gemacht? – causa materialis. Was hat es hervorgebracht? Oder modern gefragt, was ist die Ursache – causa efficiens.Was für eine Gestalt hat es - causa formalis. Welcher Absicht dient es oder aus welcher Absicht heraus wurde es gemacht- causa finalis. Wenn man die Entwicklungsstadien eines Huhnes verstehen will, wenn man ein Ei verstehen will, muß man sich fragen, woher kommt es. Aristoteles‘ Irrtum war, daß er ein entwickeltes System von Erklärungen für Organismen - und diesen galt sein vorrangiges Interesse - auf die anorganische Welt ausdehnte. So kam er zu all diesen Ungereimtheiten, als er die Schwerkraft erklären wollte: daß alle Körper zur Erde sinken, daß die endgültige Bestimmung eines Steins sei, zum Zentrum der Erde zu fallen. All dies wurde von den Philosophen der Wissenschaft und der Physik aufgegriffen, und es war das große Verdienst Darwins, eine reine mechanistische Erklärung für die Prozesse der lebenden Welt gefunden zu haben, indem er die Prinzipien der natürlichen Selektion formulierte.“


Erstaunlicherweise hat Ayala selbst diese Idee erst 2016 in seinem Buch Evolution, Explanation, Ethics, and Aesthetics - Towards a Philosophy of Biology näher erläutert. Seitdem wartet diese Idee darauf, weiter ausgepackt zu werden. 


Aber von wem?


Sicherlich nicht von deutschsprachigen Universitätsprofessoren oder anderen Leopoldina-Assen. Der Deutsche schleppt zwar an allem, vor allem seiner eigenen Tiefe, bei Charles Darwin ist es eher bei einer modischen Behandlung geblieben. Bis heute wird Darwin gerne als Vater der Evolutionstheorie bezeichnet. Ein Witz. Bestes Beispiel für die in der deutschen Kultur herrschenden Unkenntnis ist die Editionsgeschichte von On the Origin of Species. Kürzlich ist eine neue Edition auf deutsch erschienen, mit dem Vorwort eines Spezialisten. Hätte der gute Mann ein bißchen Ahnung, wäre sein Kommentar gewesen: „Hier ist die falsche Ausgabe neu übersetzt worden.“ Natürlich die sechste, von 1972, der Kenner aber greift stets zur Version, die die westliche Welt aufrührte - der prinzipielle Text der 1. Ausgabe, erschienen am 24. November 1859. 


Stets witzelte Ernst über die deutsche Vorliebe für die sechste Ausgabe. „Ja, ja, die Deutschen mit ihrer sechsten Ausgabe. Es ist aber in vielerlei Hinsicht die erste Ausgabe, die Darwin in seinem revolutionärsten Geist repräsentiert, und dies ist die Ausgabe, die als ein so großes Denkmal in der Geschichte der menschlichen Intelligenz steht. Diese Ausgabe ist zu studieren.“


Francisco J. Ayala stand in der Tradition, Darwins revolutionären Geist philosophisch zu deuten. So fragte ich ihn: „Erstaunlicherweise lehren Sie über Darwin als Philosophen. In Deutschland würde niemand auf die Idee kommen, Darwin als Philosophen zu sehen.“


Originalton Ayala aus Loch im Walfisch


„Er war kein Philosoph, aber er hatte sehr wichtige und grundlegende philosophische Ideen. Wenn ich sage, er war kein Philosoph, dann meine ich damit, daß er nicht von berufswegen Philosophie lehrte. Darwin war sehr belesen, und er kannte Philosophen wie Herbert Spencer, hatte aber häufig nur eine sehr schlechte Meinung von ihnen. Er hielt es für reine Spekulation. Seinen hauptsächlichen Einfluß übte er auf die große intellektuelle Umwälzung aus, auf die Geburt der Wissenschaften als ein intellektuelles Unternehmen. Vor dem 16. Jahrhundert, vor Kopernikus, mit dem diese Revolution eigentlich begann, gab es eine bestimmte Art von Wissenschaft, meist nicht sehr – in unserem Sinne - professionell, eher nichtsystematisch. Es gab wichtige technologische Entwicklungen. Es gab Philosophen, die gelegentlich auch Wissenschaft betrieben, sicherlich in der griechischen Tradition des Aristoteles. Und es gab einige Ärzte und Naturforscher. Aber Wissenschaft als systematisches intellektuelles Unternehmen entstand erst mit Kopernikus, mit Galilei und Newton. Wenn ich diese kopernikanische Revolution betrachte, muß ich sagen, sie war weit davon entfernt, vollständig zu sein. Aber sie schuf die Wissenschaft der unbelebten Natur, also eine Wissenschaft, die sich nur auf unbelebte Objekte anwenden läßt, auf die Bewegung der Planeten und all das. Organismen wurden völlig ignoriert – man betrachtete sie als etwas, das für einen funktionalen Zweck erschaffen wurde: die Augen, um zu sehen, die Hand, um etwas zu fangen. Philosophen und Naturtheleologen folgerten, daß sich wissenschaftliche Prinzipien nicht auf etwas anwenden lassen, was zu einem bestimmten Zweck entworfen wurde. Aber genau das tut Darwin meines Erachtens. Er vollendete die kopernikanische Revolution in dem Sinne, daß er eine Erklärung der Lebewesen in die Wissenschaften mit einbezog. In diesem Zusammenhang finde ich Descartes sehr interessant. Descartes wußte, daß die Organismen nicht in das Schema paßten, aber er wollte sie trotzdem einbringen. Und so machte er die Organismen zu Maschinen. Aber eine Frage ignorierte er völlig: Wer konstruiert die Maschinen? Darwin fand die Antwort. Der wesentliche Beitrag Darwins ist, daß er Aussehen und Funktion als eine Konsequenz natürlicher Gesetze erklärte. Man nennt es manchmal auch die Lösung des William-Paley-Problems. Darwin erklärte Funktion durch natürliche Selektion. Ich sehe Darwins Beitrag in einem anderen Licht als die meisten. Normalerweise hält man Darwins Lösung des Problems, wie Organismen evolvieren, für sein Hauptverdienst. Es stimmt, er lieferte dafür eine sehr gute Erklärung. Aber ich meine, dies ist mitnichten sein bedeutendster intellektueller Beitrag. Darwin vollendete die kopernikanische Revolution, indem er die komplexesten Wesen der Welt in den Bereich der Naturwissenschaft einbezog. Die Wissenschaft wurde erwachsen. Daher ist Darwin so wichtig für unser intellektuelles Leben.“

 

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